Aktuelle Rechtsprechung zur abgabenrechtlichen Verjährung bei hinterzogenen Abgaben
Tax News 2/2025
Tax News 2/2025
Die Frage der Verjährung bei hinterzogenen Abgaben ist ein Dauerbrenner in der steuerlichen und finanzstrafrechtlichen Diskussion. Der Beitrag gibt Einblick in aktuelle Fälle aus der Rechtsprechung und zeigt unterschiedliche „Feinheiten� im Vergleich von Abgabenverfahren und Finanzstrafverfahren.
1. Ständige Rechtsprechung zur abgabenrechtlichen Verjährungsbeurteilung: weniger strenges Beweismaß betreffend „hinterzogene Abgaben� im Abgaben- als im Finanzstrafverfahren
Nach § 207 Abs. 2 BAO beträgt die abgabenrechtliche Verjährungsfrist für die Festsetzung einer Abgabe grundsätzlich fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 BAO zehn Jahre.
Wenn eine finanzstrafrechtliche Verurteilung wegen Hinterziehung einer bestimmten Abgabe vorliegt, ist die Abgabe im Abgabenverfahren als hinterzogen zu behandeln und es gilt die lange Verjährungsfrist von zehn Jahren.
Demgegenüber besteht im Fall eines Freispruchs im Finanzstrafverfahren keine solche Bindung, und zwar laut Verwaltungsgerichtshof schon wegen anders gearteter Beweisregeln. Gleiches gilt auch bei Einstellung eines Strafverfahrens (VwGH 17.1.2024, ). Aufgrund der anders gearteten Beweisregeln kann daher die Abgabenbehörde im Abgabenverfahren � trotz Freispruchs oder Einstellung des Finanzstrafverfahrens mangels Vorsatzes � zum Ergebnis gelangen, dass hinterzogene Abgaben vorliegen und somit die längere, abgabenrechtliche Verjährungsfrist anwendbar ist.
Das bedeutet: Im Abgabenverfahren gilt ein weniger strenges Beweismaß als im Finanzstrafverfahren. Dies folgt aus der unterschiedlichen Zwecksetzung von Abgabenrecht und Strafrecht.
Mit dem Argument des unterschiedlichen Beweismaßes im Abgaben- und Finanzstrafrecht bringt der VwGH nicht zum Ausdruck, dass eine Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinn besteht. Vor diesem Hintergrund verneinte der Verfassungsgerichtshof jüngst auch einen Verstoß der längeren Verjährungsfrist gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 Menschenrechtskonvention aufgrund „anderer Beweisregeln im Abgabenverfahren� (VfGH 26.11.2024, E 1095/2023).
2. VwGH 15.11.2024: keine mangelhafte Beweiswürdigung des BFG
In einer kürzlich ergangenen Entscheidung judizierte der VwGH (15.11.2024, ) � im Sinn der unter Pkt 1 skizzierten Rechtsprechung � im Hinblick auf die Beweiswürdigung wie folgt:
- Vorsätzliches Handeln beruht zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Täterverhalten zu erschließen, wobei sich diesbezügliche Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen.
- Der Eventualvorsatz wurde vom Bundesfinanzgericht (BFG) bejaht, weil der Steuerpflichtige über den langen Zeitraum von zehn Jahren einen hohen Betrag veruntreut hat und sich dessen bewusst gewesen sein musste, dass dies steuerliche Folgen haben wird. Er war als leitender Angestellter tätig und bei einem solchen kann nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass er die Steuerpflicht der veruntreuten Gelder zumindest für möglich gehalten hat.
- Diese Beweiswürdigung des BFG hielt der VwGH nicht für grob fehlerhaft.
3. VwGH 22.1.2025: mangelhafte Beweiswürdigung des BFG � Mindestmaß an Begründung zum Vorsatz im strafrechtlichen Sinn nötig
Der vom BFG für unstrittig befundene Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: Der Steuerpflichtige legte sein ausländisches Bankkonto im Rahmen der Einreichung seiner Abgabenerklärungen nicht offen und erklärte die maßgeblichen Kontoeingänge (Einkünfte) nicht, wozu er aber verpflichtet gewesen wäre. Darüber hinaus führte er in seiner Steuererklärung ihm gutgeschriebene Bankzinsen aus Australien und aus Liechtenstein nicht an.
Zunächst bezog sich der VwGH (22.1.2025, ) auf die ständige Rechtsprechung und führte wie folgt aus:
- Die Abgabenbehörde ist nicht daran gehindert, im Abgabenverfahren � ohne dass es einer finanzstrafbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedarf � festzustellen, dass Abgaben im Sinn des § 207 Abs 2 zweiter Satz BAO hinterzogen sind.
- Vorsätzliches Handeln beruht zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen.
In weiterer Folge hob der Gerichtshof das BFG-Erkenntnis mit folgender Begründung auf:
- Das angefochtene Erkenntnis enthält zwar Feststellungen zum objektiven Tatbestand der Abgabenhinterziehung, es enthält aber keine Sachverhaltsfeststellungen und auch keine beweiswürdigenden Erwägungen zur entscheidenden Frage des Vorsatzes.
- Die Aussage, dass man aus objektiven Umständen auf die subjektive Absicht schließen kann, reicht allein nicht aus, um Feststellungen bzw beweiswürdigende Erwägungen zu ersetzen. Die Erfüllung des objektiven Tatbestands entbindet die Behörde nicht davon, ihre Erwägungen offenzulegen, wieso sie vom Vorliegen eines Vorsatzes, etwa aufgrund eines nach außen in Erscheinung tretenden Verhaltens des Steuerpflichtigen ausgegangen ist.
- Dass die Kenntnis über das grundsätzliche Bestehen einer Steuerpflicht der bezogenen Einkünfte bei einer intellektuell durchschnittlich begabten Person vorausgesetzt werden könne, reicht als einzige Erwägung ohne konkrete Bezugnahme auf den Steuerpflichtigen nicht aus.
- Der VwGH konnte nicht feststellen, ob die Glaubwürdigkeit des Steuerpflichtigen (z. B. hinsichtlich Barzahlungen oder Vernichtung von Sparbüchern) in die BFG-Entscheidung eingeflossen ist.
4. Fazit
Das Beweismaß im Abgabenverfahren ist weniger streng als im Finanzstrafverfahren. Dies liegt an der unterschiedlichen Zwecksetzung von Abgabenrecht und Strafrecht. Dennoch müssen Finanzamt und Bundesfinanzgericht für die Anwendung der längeren abgabenrechtlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren konkrete Feststellungen und eine nachvollziehbare Beweiswürdigung zur Frage erbringen, ob ein Steuerpflichtiger im Hinblick auf eine Abgabenverkürzung Vorsatz hatte.
Die Rechtsprechung des VwGH gestaltet sich in diesem Zusammenhang naturgemäß sehr einzelfallbezogen und unterschiedlich „großzügigâ€�. Sollten daher steuerliche Fehler passieren, beraten Sie Ihre Ansprechpartner:innen bei ÀÖÓ㣨Leyu£©ÌåÓý¹ÙÍø im konkreten Fall gern zur Einschätzung etwaiger finanzstrafrechtlicher Risiken.